Suchtforscher plädieren für politische Aufklärung zur E-Zigarette

Heute wurde in Berlin der neue Alternative Drogen- und Suchtbericht 2020 (ADSB) vorgestellt. Herausgeber sind der akzept e.V. Bundesverband und die Deutsche Aidshilfe. Bereits im Vorwort wird ein Schwerpunkt des Berichts definiert: Schadensminimierung. “Ziel dieses Ansatzes ist, die gesundheitlichen und sozialen Folgen des Substanzkonsums so gering wie möglich zu halten, statt nur auf Abstinenz zu dringen.”

Die Autoren sehen gute Möglichkeiten, dieses in anderen Feldern der Gesundheitspolitik bewährte Konzept auch beim Thema Tabakkonsum anzuwenden.

“Beim Tabak- und Alkoholkonsum könnte der Ansatz der Schadensminimierung ebenso erfolgreich sein, wird aber noch kaum genutzt. Ein gutes Beispiel sind die E-Zigarette und andere schadstoffreduzierte Tabakprodukte.” (Seite 11)

Klare Belege für Harm Reduction durch E-Zigaretten
Es sei klar belegt, dass die gesundheitlichen Schäden beim Konsum von E-Zigaretten geringer sind als bei Tabakzigaretten und dass dadurch die Zahl der Raucher*innen gesenkt werden könne. “Daher plädieren wir auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür, dass Raucher*innen, die nicht aufhören können oder wollen, der Umstieg auf E-Zigaretten empfohlen wird. So sollte es auch in der medizinischen Leitlinie „Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums“ stehen, die zurzeit überarbeitet wird.” (Seite 11)

Aufklärung dringend geboten
Noch immer kennen viel zu wenig Bundesbürger die Fakten. Nur ein Drittel der Bevölkerung weiß, dass E-Zigaretten weniger schädlich sind als Tabakzigaretten.

“Es ist schwierig, die Schäden des Tabakkonsums zu verringern, wenn die Bevölkerung die Schädlichkeit vorhandener Alternativen völlig falsch einschätzt. Tatsächlich halten zwei von drei Bundesbürgern das Dampfen für mindestens genauso schädlich wie das Rauchen (BfR 2019).” (Seite 77).

Wenn ab 2024 die E-Zigarettenwerbung verboten wird, würde eine wichtige Möglichkeit zur Aufklärung wegfallen. “Wie eine entsprechende Regelung aussehen könnte, war vor zwei Jahren im Alternativen Drogen- und Suchtbericht nachzulesen (Jazbinsek/ Stöver 2018).”

In diesem Zusammenhang wird auch auf den von den Branchenverbänden VdeH und BfTG im Mai 2019 veröffentlichten Werbekodex hingewiesen, “der sich weitgehend an einem Entwurf der Umweltstiftung orientiert.” (Seite 79)

Die durch das Werbeverbot entstehende Informations-Lücke müsse von der Gesundheitspolitik geschlossen werden. “Die politischen Entscheider und unsere Gesundheitsagenturen müssen nun über die adäquate, d.h. zielgruppenspezifische und lebensweltnahe Aufklärung und Information von potenziellen Konsumierenden nachdenken. Zum Beispiel könnte die BZgA die Aufgabe der Information über gesundheitspolitische Möglichkeiten der E-Zigarette wahrnehmen.” (Seite 95)

Aromen und Kosten wichtig für Umsteiger
Die Autoren des Berichts sind der Auffassung, dass E-Zigaretten-Aromen wichtig für umstiegswillige Raucher*innen sind. “Auch zeigen empirische Forschungsergebnisse, dass Aromen ein wichtiger Grund sind, weshalb Tabakraucher*innen auf die E-Zigarette umsteigen.”

Es wird deshalb dafür plädiert, dass die Vielfalt der Aromen weiterhin erhalten bleibt, “da sie beim Umstieg helfen und die Rückfallwahrscheinlichkeit auf Tabakzigaretten verringern.”

Auch die Preise für alternative und schadensreduzierte Produkte wie die E-Zigarette sollten immer deutlich unter denen von Tabakzigaretten liegen. “Schon aktuell zeigt es sich, dass viele Raucher*innen aus sozial ärmeren Schichten nicht auf die E-Zigarette umsteigen, da sie die hohen Beschaffungskosten schlicht nicht stemmen können.” Daher müsse “der Gesetzgeber auf weitere Besteuerungen des Produkts verzichten.” (Seite 97)

Gateway-Theorie hat sich nicht bestätigt
Des Weiteren sehen die Forscher keine Belege für die sogenannte Gateway-Theorie. Diese Hypothese konstruiert eine Gefahr für Nichtraucher, durch erstmaligen Konsum von E-Zigaretten in der Folge zum Rauchen von Tabakzigaretten verleitet zu werden.

“Abschließend lässt sich feststellen, dass bis dato keine Studie einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum von eDe (E-Zigaretten) und einem folgenden Konsum von konventionellen Zigaretten feststellen kann.” (Seite 196)

Fazit
Einer der Autoren und verantwortlich für den ADSB ist der Frankfurter Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver. Er fordert von der Politik den Blick über den Tellerrand:

“Es zeigt sich aber auch, dass neuartige Produkte, wie E-Zigaretten oder Tabakerhitzer berücksichtigt werden müssen und ihnen auch eine Aufgabe bei den Bemühungen rund um Harm Reduction und einer gesünderen Gesellschaft zufällt. Daher darf von Seiten der Politik nicht grundsätzlich mit Scheuklappen auf diese Produkte geschaut werden.” (Seite 94)