Wissenschafts-Kommunikation und die Rolle der Medien


Die E-Zigarette ist eine deutlich weniger schädliche Alternative zu Tabakprodukten. Dieser Fakt, der durch eine Vielzahl von Studien belegt ist und die elektrische Zigarette zu einem erfolgreichen Harm Reduction-Produkt macht, wird von Seiten der Politik und Wissenschaft weltweit nicht mehr ernsthaft angezweifelt. Doch weite Teile der Bevölkerung wissen davon nichts. Nach einer Forsa-Umfrage von 2017 ist über 80 Prozent der Deutschen nichts von der um 95 Prozent geringeren Schädlichkeit der E-Zigarette im Vergleich zum Tabak bekannt.

Woher kommt diese Diskrepanz? Welche Rolle spielen Negativmeldungen zur E-Zigarette, die von wissenschaftlicher Seite verbreitet und von einigen Medienvertretern ungeprüft veröffentlicht werden? Diesen Fragen ist der griechische Kardiologe und langjährige Forscher zur E-Zigarette Dr. Konstantinos Farsalinos* nachgegangen. Seine Ergebnisse hat er auf der diesjährigen Harm Reduction-Konferenz in Barcelona vorgestellt. Eine Video-Aufzeichnung seines Vortrags ist hier zu finden.

Aufklärung wichtige Aufgabe von Gesundheitspolitik

Dr. Farsalinos startet seinen Vortrag mit einem Blick auf die WHO-Charter von 1986.

„Gesundheitsförderndes Handeln bemüht sich darum, … (dass) alle Menschen befähigt werden, ihr größtmögliches Gesundheitspotential zu verwirklichen. Dies umfasst … den Zugang zu allen wesentlichen Informationen (und) auch die Möglichkeit, selbst Entscheidungen in Bezug auf ihre persönliche Gesundheit treffen zu können. Menschen können ihr Gesundheitspotential nur dann weitestgehend entfalten, wenn sie auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss nehmen können.“

Ausgehend von diesem Leitsatz, nachdem alle Menschen nur dann richtige Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen können, wenn sie über alle wesentlichen Informationen verfügen, sieht Dr. Farsalinos den Stand der Aufklärung bei Harm Reduction-Produkten wie der E-Zigarette kritisch. Eine 2018 durchgeführte griechische Untersuchung unter seiner Leitung hat ergeben, dass nur 5,4 Prozent der griechischen Bevölkerung wissen, dass die Nutzung der E-Zigarette deutlich weniger schädlich ist als Tabakkonsum. Bei den griechischen Rauchern, also der Zielgruppe für Tobacco Harm Reduction-Produkte, sind es sogar nur 4,6 Prozent. Und diese Entwicklung sei in ganz Europa zu beobachten.

Negative Studien werden deutlich häufiger kommuniziert

Einen Hauptteil der Verantwortung für den geringen öffentlichen Aufklärungsgrad zur E-Zigarette sieht Dr. Farsalinos bei den Medizinischen Fachkräften und den Wissenschaftlern:  „Wissenschaftler führen im Wesentlichen Studien durch, die dann veröffentlicht werden. Medizinische Fachkräfte stehen im Kontakt zu rauchenden Patienten und klären über die Folgen des Rauchens und Alternativen dazu auf. Wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse werden häufig durch Pressemitteilungen und Statements verbreitet. Die Verbreitung der Ergebnisse und Statements sowie die medizinische Beratung beeinflussen die Wahrnehmung der Bevölkerung bei Themen wie E-Zigaretten und Harm Reduction.“

Konstantinos Farsalinos erläutert an dem Beispiel einer kalifornischen Studie, wie eine Fehldeutung die öffentliche Meinung zu E-Zigaretten beeinflussen kann. In dieser Studie geht es um das erhöhte Risiko von Herzinfarkten, das angeblich durch E-Zigaretten-Konsum ausgelöst werden könne. Der Titel der begleitenden Pressemeldung lautet: „Das Herzinfarkts-Risiko ist bei E-Zigarettennutzern doppelt so hoch“. Diese Meldung wurde international von vielen Nachrichtenportalen geteilt. Im Bericht zur Studie machen die Autoren eine entscheidende Einschränkung: „Es ist nicht bekannt, wann die Herzinfarkte in Bezug auf die Verwendung von E-Zigaretten auftraten, und es ist wahrscheinlich, dass einige der berichteten Herzinfarkte vor der Verfügbarkeit von E-Zigaretten in den USA auftraten.“  Für Dr. Farsalinos ein Beweis, dass die Schlussfolgerung und die Presseerklärungen zur Studie falsch sind.

US-Studie nachgestellt: Keine Medienresonanz

Eine 2016 veröffentlichte US-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bei aromatisierten Liquids deutlich höhere Konzentrationen von toxischen Aldehyden entstehen als bei nicht aromatisierten Liquids. Daraufhin gab es eine Vielzahl von Schlagzeilen zu diesem Thema. Beispiel Birmingham Post: Flavoured e-cigarettes ‘250 times more toxic’ than recommended safety level, say scientists.

Dr. Farsalinos hat diese Studie 2018 mit genau den exakten Parametern nachgestellt: Gleiche Liquids, gleiche Verdampfer, gleiche Akkus. Ergebnis: Die Werte für Formaldehyd waren 100-600fach niedriger als die Werte in der publizierten Studie von 2016. Außerdem lag der gemessene Formaldehyd-Wert bei starker E-Zigarettennutzung 70 Prozent unter dem von der WHO definierten zulässigen Grenzwert für Formaldehyd-Konzentration in der Raumluft.

Diese neue Studie wurde genauso publiziert wie die erste. Trotzdem:

Auf der Suche nach Negativ-Ergebnissen

Farsalinos beschreibt den Druck, unter dem Wissenschaftler Forschung betreiben: Es gibt Organisationen, die Forschung nur unter dem Aspekt finanzieren, dass negative Ergebnisse gefunden werden. Forschende Wissenschaftler zur E-Zigarette seien daraufhin motiviert, Probleme und Risiken zu fokussieren ohne diese in Relation zu dem Schadenspotential der Tabakprodukte zu stellen.

Das Resultat ist eine verzerrte Wahrnehmung der Risiken der E-Zigarette im Vergleich zu Tabakrauch. Das ist der Grund, warum viele Raucher nicht wissen, wie viel weniger schädlich E-Zigaretten sind und dann nicht auf diese Alternative umsteigen.

Fazit

In seinem Fazit fasst Konstantinos Farsalinos noch einmal die wesentlichen Punkte seines Vortrags zusammen:

  • Es gibt ein ernstes Problem der einseitigen und unausgewogenen (falschen) Informationen
  • Die Quelle ist die wissenschaftliche Community
  • Einige Medien verbreiten diese Fehlinformationen ungeprüft
  • Schwerwiegende Folgen: weitreichende Fehlwahrnehmungen, vor allem bei Rauchern
  • Verletzung eines grundlegenden und durch die WHO festgelegten Rechts, nach dem die Menschen geeignete Informationen benötigen, um ausreichend aufgeklärt Gesundheits-Entscheidungen treffen zu können

* Dr. Konstantinos E. Farsalinos ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Onassis Cardiac Surgery Center in Athen, an der Abteilung für Pharmazie der Universität Patras und an der National School of Public Health. Seit 2011 führt er als Hauptuntersuchungsleiter Labor- und klinische Forschungen zu E-Zigaretten durch. Zu seinen Arbeiten zählt die erste Studie über die zytotoxischen Wirkungen von E-Zigaretten-Dampf auf kultivierte Zellen und die unmittelbaren Auswirkungen von E-Zigaretten auf das Herz. Er führte 2014 eine weltweite Online-Umfrage unter fast 20.000 Dampfern (Konsumenten von E-Zigaretten) durch, um die Konsummuster zu analysieren.

Dieses war der dritte und letzte Teil unserer Reihe zu Harm Reduction-Themen, die auf dem Kongress in Barcelona vorgestellt worden sind. Dieser und weitere Vorträge sind im Youtube-Kanal von THR Summit Spain veröffentlicht.